30 Fragen eines lesenden Wandersburschen, unterwegs im Brandenburgischen
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Ein ehemaliges Wandbild? |
Beziehungskisten
Einer muss sich quälen - der Schreiber oder der Leser. Manche Schreiber denken sich: Selbst schuld, wer es liest, und schreiben dann Sätze wie diesen: "Hier treffen Sie, wie auf einer Kette aufgezogen, von einer landschaftlichen Perle auf die andere." Wer ist da "wie auf einer Kette aufgezogen" - ich etwa? Sätze wie diese kann man quälerisch zehnmal lesen, schlauer wird man trotzdem nicht. Anderes Beispiel: "… ob Sie im Herbst auf die Suche nach reichhaltigen Pilzsorten für den genüsslichen Verzehr gehen…" Nun mal langsam: Sind die Pilze reichhaltig oder die Sorten, gibt es überhaupt reichhaltige Sorten? Und wenn ja, soll ich die Pilze oder die Sorten verzehren? Fragen über Fragen!
An den Klassiker - den "viergeschossigen Hausbesitzer" - kommt man schnell heran, wenn man sich mit der "ehemaligen" DDR einlässt: "Die einzelnen Etappen ehemaliger DDR-Architektur können nirgendwo so komplex und lebendig betrachtet werden…". Also wir wissen, dass die DDR ehemalig ist, so wie wir ja auch immer vom "ehemaligen" Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sprechen. Oder? Aber vielleicht ist in hier ausnahmsweise mal die Architektur "ehemalig". Oder der komplexe Betrachter? Keiner weiß es genau. Beziehungen sind eben schwierig.
Diagnose: Immer wieder hört man von schwierigen Beziehungen, manche gehen sogar in die Brüche.
Therapie: Wie wäre es mit einem Beziehungsberater?
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Spätbarock - frühklassizistisch? |
Früh oder spät?
Hurra! Ich kann eine romanische von einer gotischen Kirche unterscheiden, ein Renaissanceschloss von einem Barockschloss, ein klassizistisches Bauwerk von einem historistischen. Ich bin also der ideale Kulturtourist. Immer interessiert an alten Gemäuern. Ganz gerne lese ich mir etwas über mein nächstes Reiseziel an, um nichts wichtiges zu verpassen. Neuerdings meinen es die Autoren der entsprechenden Broschüren und Flyer besonders gut mit mir. Sie schreiben von "frühgotisch" und "Hochrenaissance", "Spätbarock" und "frühklassizistisch". Haben die, die das schreiben, eigentlich Ahnung von den Unterschieden? Woran kann ich sie erkennen?
Ich halte solche Super-Genauigkeit einfach für Klugscheißerei. Außer, mir erläutert jemand die Feinheiten und sagt gleich dazu, warum sie so wichtig sind. Dazu fällt mir ein Beispiel ein: das Marmorpalais im Potsdamer Neuen Garten. Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. , der Nachfolger Friedrichs des Großen, wollte sich mit seinem Park und seinem Schloss klar vom Vorgänger absetzen. Bei Baubeginn 1787 bestimmten noch barocke Bauformen die Architektur von Schlössern, aber es zeigten sich allerorten Ansätze des Klassizismus als Baustil der Zukunft. Hier kann der Begriff "Frühklassizismus" tatsächlich weiterhelfen.
Diagnose: Gern dünkt sich ein Schreiber klüger als sein Leser.
Therapie: Schlaumeier sind nicht immer wirklich klug. Wenn sie mir dann auch noch die "architektonische Epoche" der Neorenaissance unterjubeln wollen!
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Die feiern ja auch nicht Geburtstag! |
Alt wie ein Baum?
Ich bin ein Geburtstagsmuffel. Das betrifft den eigenen Geburtstag, den ich am liebsten unter den Tisch fallen lasse (dass man Geburtstage nicht unter den Tisch fallen lassen kann, weiß ich selbst!), das betrifft aber auch die Geburtstage in meiner Umgebung. Ich vergesse sie und notiere sie mir auch gar nicht erst. Wer erinnert mich schließlich daran, am richtigen Tag auf der Geburtstagsliste nachzugucken? Es gibt aber auch das Gegenteil von mir. Zum Beispiel der Alt- und Rechtshegelianer "Lorenz von Stein, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feierte". So nachzulesen in der Wochenendbeilage einer linken Tageszeitung. Schade, dass ich zu diesem runden Geburtstag nicht eingeladen war. Bestimmt ging es dort - "je oller, je doller" - sehr lustig zu. Aber vielleicht wäre dabei für uns Normalsterbliche wenig zu sehen gewesen. Denn der Artikel, in dem der Jubilar vorkam, handelte von Gespenstern. Es ist aber auch schwierig mit Jubilaren, die keiner kennt. Bei Jesus - den kennen alle - sind wir es, die seinen Geburtstag feiern. Jedes Jahr, auch wenn es kein runder ist. Wir tun jedenfalls so. Aber einer wie der besagte Althegelianer kann nicht darauf vertrauen, dass wir seinen Geburtstag feiern, da muss er schon selbst ran. Der Untote.
Noch viel häufiger als die Geburtstagsfeier eines 200-Jährigen ist im Deutsch-Sprech der Hinweis darauf, wie alt gerade einer/eine eben mal geworden wäre. Im Jahr 2015 wäre Alois Alzheimer 100 Jahre alt geworden, Kurt Tucholsky 125 Jahre alt und Sven Hedin sogar 150 Jahre alt. Alles so gehört oder gelesen. Hier tobt sich das "Hätte - Könnte - Wäre" wieder einmal in besonders optimistischer Weise aus. Man wünscht ja den Menschen, vor allem, wenn sie Besonderes geleistet haben, ein langes Leben. Aber 150 Jahre alt wäre niemand geworden, selbst bei bester Pflege nicht.
Diagnose: Man sieht es mal wieder: Viele sind Journalisten geworden, weil sie nicht rechnen können. Therapie: Schon ein handelsübliches Smartphone kann Auskunft geben über die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen.
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Kein Weg führt vorbei (gesehen in Perleberg) |
Zu Besuch bei Gott
Diesmal fasse ich mir selbst an die Nase. Immerhin geht es um nichts geringes als um die Begegnung mit Gott, besser gesagt mit Gottes Häusern. Bei Touren durch Brandenburg kommt man unweigerlich an Kirchen vorbei. Und wenn man durch viele Dörfer fährt,dann sieht man viele Dorfkirchen. Wie aber soll man damit in einer Tourenbeschreibung im Reiseführer umgehen? Nachdem ich festgestellt hatte, dass sich manche meiner Tourenbeschreibung wie eine Pilgerfahrt von Kirche zu Kirche liest, habe ich – mit Gottes augenzwinkerndem Einverständnis – der Kirchen-Inflation Einhalt geboten und mir die folgenden Grundsätze verpasst.
Erstens: Eine Kirche ist erst eine Sehenswürdigkeit, wenn sie mehr zu bieten hat als ein paar Jährchen auf dem Buckel. Ein neogotisches Bauwerk aus der Kaiserzeit (sehr häufig) ist kaum der Erwähnung wert; dann schon eher ein Schinkelscher Typenbau (nicht so häufig); oder eine Feldsteinkirche (gar nicht so selten) oder vielleicht eine der seltsamen Kobination von allen. Zweitens: Ist es eine offene Kirche oder kann ich mir zumindest unkompliziert den Schlüssel besorgen? Drittens: Sollte es sich um eine offene Kirche handeln, bleibt die Frage nach der Innenausstattung. Ein mittelalterlicher Schnitzaltar, das Gemäde eine großen Meisters oder eine Wagner-Orgel machen Kirchen auf jeden Fall erwähnenswert. Viertens kann die Lage der Kirche ihre Erwähnung rechtfertigen: auf einem Hügel, am Wasser, in einem historischen Dorfensemble. Und fünftens ranken sich um Kirchen erzählenswerte Geschichten – zum Beispiel die vom Pfarrer Schmidt in Werneuchen oder die von Paul Gerhardt in Lübben.
Diagnose: Und was, wenn nichts von alledem zutrifft?
Therapie: Dann langweilen wir eben unsere Leser nicht.
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Eiszeitlich geprägtes Spitzbergen |
Es war kalt in der Eiszeit
Man bekommt ihn häufig zu lesen, den Satz: "Die Landschaft Brandenburgs ist eiszeitlich geprägt". Was soll man dazu sagen - es stimmt ganz einfach. Nur an ganz wenigen Orten in Brandenburg besteht die Erdoberfläche aus Gestein, das älter als zwei Millionen Jahre alt ist und damit älter als die Eiszeiten, die bis vor 10.000 Jahren über unser Gebiet hinweggezogen sind. Der Rothsteiner Felsen in der Nähe von Bad Liebenwerda ist so ein seltenes Beispiel. Er entstand vor 560 Millionen Jahren auf dem Grund eines Meeres. Was aber soll die "eiszeitliche Prägung" Brandenburgs in Texten, die für einen Besuch des Landes werben sollen? Ist die Eiszeit wirklich so prickelnd, dass sie Leute etwa in Süddeutschland aus den Sesseln lockt und in Richtung Brandenburg in Marsch setzt? Wenn ich allerdings lese: vulkanisch geprägt, dann denke ich doch gleich an die Kanaren oder gar an die Hawaii-Inseln. Dann erzeugt meine Fantasie die allerschönsten Bilder. Aber bei "eiszeitlich"? Da fällt mir allenfalls Spitzbergen ein, wo heute noch die Eiszeit herrscht.
Die Steigerung von "eiszeitlich geprägt" ist "Moränenlandschaft", oft mit der Uckermark verbunden. Aber wer hat schon Ahnung, wie eine Moräne aussieht? Und wenn, dann kommt die gelehrte Frage: Grundmoräne oder Endmoräne? Die sanften Hügel, die vielen Seen, die Havellandschaft, der Spreewald - das allermeiste, was wir an Brandenburg lieben, geht auf die Eiszeiten zurück. Die Überbleibsel der Eiszeit sind so vielgestaltig wie die brandenburgische Landschaft. Aber deshalb besteht kein Grund zur Nostalgie. Niemand möchte zurück in die Eiszeit! Auch wenn ich bei Google unter den Stichworten "eiszeitlich geprägt" auf tolle Angebote komme: "Eiszeiten bei Amazon", "Eiszeit super billig", "Eiszeiten Restposten"….
Diagnose: Der Eiszeit verdanken wir sehr viel, aber auch Heerscharen an Touristen?
Therapie: Die Suche nach anderen guten Gründen, Brandenburg zu besuchen, kann erhellend sein.
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Es gibt ihn doch, den weißen Schimmel!!! |
Tiger wie Schimmel
Kürzlich las ich im politischen Teil einer Zeitung über eine bekannte Politikerin, sie laufe Gefahr, zum "zahnlosen Papiertiger" zu mutieren. Wir haben es hier mit eklatant mangelndem Vertrauen zu tun. Nicht allein in die Fähigkeiten der Politikerin, sondern auch in die Wirkgewalt von Wörtern. Der "Papiertiger" war einst ein Kampfbegriff in Maos China während der Kulturrevolution. Der Imperialismus war ein Papiertiger: einst machtvoll und nun - so meinten Mao und seine Anhänger - auf ewig besiegt. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, den "Papiertiger" auch noch mit dem Attribut "zahnlos" zu belegen. Hätte ja sein können, jemand hätte sich daraufhin den Papiertiger mit und ohne Zähne vorgestellt. Udn sich totgelacht.
Was soll das in unserem "Brandenburg-Sprech"? Auch wir sind beim Texten immer der Gefahr ausgesetzt, den Begriffen allein nicht zu trauen und sie statt dessen durch Attribute eher lächerlich zu machen: der naturnahe Waldweg , die grüne Wiese, die mittelalterliche Burg, die wellige Hügellandschaft und der allseits bekannte weiße Schimmel. Alles bekannt als
Tautologie.
Diagnose: Der zahnlose Papiertiger steht hinter jedem naturnahen Baum.
Therapie: Überlege, ob das Attribut, das du vergeben willst, nicht schon im Begriff selbst steckt.
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Mach mal Urlaub! |
Leistungsträger tragen schwer
Soviel ist klar: Die
Beförderungsunternehmen sichern die infrastrukturelle Anbindung der
Leistungsträger im touristischen Beherbergungssegment. Die
Verpflegungsleistung kann im Rahmen einer gezielten Tourismuspolitik
natürlich nicht den Beherbergungsunternehmen und den Verkehrsträgern im
Transportbereich überlassen bleiben. Man sollte stets daran erinnern,
dass das Reisen der Verkehr zwischen dem Heimatort und einem
vorübergehenden Aufenthaltsort einer oder mehrerer Personen zum Zweck
der Regeneration, des Gelderwerbs oder aus anderen Gründen ist.
Das
ist kein Brandenburg-Sprech, das ist Deutschland-Sprech. Alles irgendwo abgeschrieben. Wer es immer
noch nicht verstanden hat: Wir reden über die schönsten Tage im Jahr,
auf die wir uns elf Monate lang freuen.
Diagnose: Selbst die Tourismusbranche soll so in die Zwangsjacke der Bürokratie gezwängt werden. Therapie: Macht mal Urlaub, ihr Tourismusalleswisser!
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in der Nektarwelt |
Eine Welt für sich
Ich hatte nur drei Seiten gelesen und war schon zu Gast in einer Urlaubswelt, einer Erlebniswelt, einer Wasserwelt und in einer Welt für sich. Nicht einmal Captain Kirk ist in so kurzer Zeit so weit herumgekommen. Und wir ahnen schon, was in den unendlichen Weiten des Universums noch alles lauert: die Kinderwelt, die Wohnwelt, die Wohlfühlwelt, die Badewelt und natürlich die Einkaufswelt. Die Hochzeitswelt und die Geschenkewelt nicht zu vergessen.
Diese Art von Welt-Anschauung gehört zu den gängigen Übertreibungen, die in diesem Blog schon häufig aufgespießt wurden. Der Begriff "Welt" befördert alles und jeden in ein Abstraktum, wo auf sinnliche Weise nicht mehr erfasst werden kann. Nur zum Vergleich: Man stelle sich erst einen "Badestrand", dann eine "Badelandschaft" und dann eine "Badewelt" vor. Wohin mag es einen mehr ziehen?
Diagnose: Hier versucht sich sprachlicher Provinzialismus hinter einem starken Wort zu verbergen.
Therapie: Menschen, die in "der Welt" herumgekommen sind, werden den Begriff vorsichtiger verwenden.
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Auch die ägyptischen Pyramiden sind nicht einzigartig |
Ist einzigartig wirklich einzigartig?
Als
im Jahr 1999 Weimar die Europäische Kulturhauptstadt war, baute man in
Sichtweite von Goethes Gartenhaus ein weiteres "Goethes Gartenhaus".
Eine einzigartige Sehenswürdigkeit Weimars gab es für ein paar Monate
doppelt. Natürlich war dieses Haus kein 100-prozentiger Klon, aber
verwirrend war es schon. Und genau darauf hatten es die Künstler
abgesehen, die sich das ausgedachten: die Einzigartigkeit in Frage zu
stellen. Im Tourismus-Marketing erleben wir häufig den entgegengesetzten
Weg: Da wird für einzigartig erklärt, war ganz natürlich und
selbstverständlich einzigartig ist. Zum Beispiel "entdecken Sie unsere
einzigartige Natur!", eine "einzigartige Region lädt ein", "hier finden
Sie einzigartige Erlebnisse". Da die Dinge, auf die sich die
Einzigartigkeit bezieht, abstrakt sind, bleibt es der Phantasie der
Leser überlassen, konkrete Bilder zu erschaffen. Ob die dann das sind,
was sich die Marketing-Texter wünschen, mag man bezweifeln.
Natürlich
gibt es Dinge, die wirklich einzigartig sind: das Besucherbergwerk F60,
das Schloss Sanssouci, die Markgrafensteine in den Rauener Bergen und
vieles mehr. Für wen aber alles und jedes "einzigartig" ist, dem fehlen
die Worte bei realen Attraktionen. Einzigartig ist auch die gebändigte
Auenlandschaft des Spreewaldes. Aber muss man dieses Wort im
touristischen Internet-Auftritt 382 (dreihundertzweiundachtzig) mal
strapazieren? Soll so der Beweis erbracht werden, dass "einzigartig" doch zu steigern ist? Oder wird eher die Geduld der Leser bis in den Tiefschlaf gesteigert?
Diagnose: Der Versuch, sich mit dem Wort "einzigartig" vor anschaulicher Beschreibung davonzustehlen, muss scheitern.
Therapie: Da alles in der Natur irgendwie einzigartig ist, einfach mal vor jedes Ding "einzigartig" schreiben. Das kann vielleicht helfen.
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Baumelt hier einfach die Seele? |
Wie funktioniert die Einfachheit des Seins?
Seit ein paar Jahren kommt mir alles so einfach vor. Vor allem dann, wenn ich touristische Werbebroschüren lese. Da ist alles
g
a a n z einfach. "Einfach königlich" lese ich da und mißtrauisch
werde ich immer bei "einfach ausprobieren!" Am aller einfachsten ist es,
die Seele baumeln zu lassen (im Spreewald wird mir das im
Internet-Auftritt zwanzigmal versprochen). Eine grässliche Vorstellung,
die eigene Seele baumeln zu sehen. Mein Verstand sträubt sich auch
gegen Aufforderungen wie "einfach davonfliegen" (ein Flugzeug sollte
schon dabei sein), "einfach anmelden" (und wenn beim fünften Klingeln
immer noch keiner am Telefon ist?), "einfach genießen" (ja was denn?).
Oder: "Übernachten Sie einfach bei uns…" Dabei wäre mir zweifach lieber.
Oder ganz schlimm: "Einfach mitnehmen". Ist das nicht die Aufforderung
zu einer kriminellen Handlung? In meiner Vorstellungswelt hat
allenfalls Platz "einfach mal ausspannen". Ja, so etwas geht am besten
einfach.Übrigens: Das Wörtchen "einfach" bringt es im Internet-Auftritt
des Spreewaldes auf 68 Treffer. Mein Favorit: "Einfach mehr Spreewald!". Einfacher geht es nicht!
Dass
in der Werbung auf einmal alles so einfach ist, hat wohl damit zu
tun, dass das Leben immer komplizierter wird. Werbung packt diesen
irritierenden Sachverhalt in wohligen Schaum, schließlich muss die
EC-Karte geschmeidig bleiben.
Diagnose: Es gibt Wörter, da bekommt die Platte einfach einen Sprung.
Therapie: Mal darüber nachdenken, ob "einfach" und "Einfalt" etwas miteinander zu tun haben.
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Liegt hier vielleicht Potsdam? |
Wieviel Kitsch verträgt Brandenburg?
"Potsdam
liegt auf einer idyllischen Insel". Das las ich vor Jahren in einer
Werbebroschüre für die brandenburgische Landeshauptstadt. Bis dahin wäre
mir zu Potsdam sehr viel eingefallen (einschließlich "Geschichte zum
Anfassen"), aber das Bild von einer idyllischen Insel, das ich seit der
Lektüre von "Robinson" mit mir herumtrage, gewiss nicht. Zumal die
"idyllische Insel" erst durch einen 1876 eröffneten Kanal zur Insel
wurde. Wenn ich allerdings glaubte, damit habe sich die
inhaltsleere Idylle erledigt, irrte ich. Auf nur wenigen Seiten las ich
neulich in einem Heft mit Ausflugstipps ins Brandenburgische bzw. ins
Mecklenburgische folgende Fügungen: "die idyllische Landschaft
Mecklenburg-Vorpommerns", "idyllische Fließe und Kanäle", "das
malerische kleine Dorf" " (Spitzweg lässt grüßen), "die malerische
Dübener Heide" (noch vor wenigen Jahren ein Truppenübungsplatz), die
"liebenswürdige Landschaft", "lievoll 'Bummelguste' genannt", der
"romantische Kaiserbahnhof", das "wildromantische Biosphärenreservat",
die "wildromantische Landschaft des Naturparks…", "die Bahn schlängelt
sich romantisch...", "Schiffsromantik pur", "gemütliche Ausfahrt",
"gemütliche Nähe", "verwunschene Moore"… Und noch besser: Im
Internet-Auftritt des Spreewaldes ergibt der Begriff "idyllisch" 115
(einhundertundfünfzehn!) Treffer. Was soll ich nur mit so viel
Kitsch anfangen? Losfahren etwa?
Diagnose: Wem es an konkretem Wissen mangelt, übertüncht seine Unkenntnis mit rosa-süßlichem Geplapper.
Therapie: Mal bei Fontane nachlesen, wie anschaulich und mit einfachen Worten er "wildromantische" Wälder beschrieben hat.
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Im Venedig der Mark? |
Wo liegt das Märkische Mantua?
Wollen wir verreisen? Ab in den Süden! Erstes Ziel ist das
Märkische Mantua, dann besuchen wir das
Protestantische Rom und ruhen uns in
Klein-Paris aus. Die Rückreise führt uns nach
Elbflorenz, ins
Deutsche Manchester und schließlich nach
Spreeathen. Hier schauen wir uns die Skulpturen des
Michelangelo des Nordens an. Und weil es so schön war, fahren wir am nächsten Tag in die
Toscana des Nordens, machen zunächst
Station im
Märkischen Wuppertal und besuchen anschließend das
Märkische Rothenburg. Zu Erfrischung gibt es im
Newcastle der Mark (Fontane) ein Glas
Zitrone des Nordens.
Alles
klar? Noch einmal: Wir waren in Jüterbog, Lutherstadt Wittenberg,
Leipzig, Dresden, Forst und Berlin. Dort bestaunten wir die Figuren von
Andreas Schlüter. Dann ging es in die Uckermark mit Halt in Eberswalde
und Wittstock. Zu trinken gab in es im Storchendorf Linum Sanddorn-Saft. Eigentlich war es schade, dass wir nicht im Spreewald waren, angeblich dem "
grünen Venedig" oder auch dem "
kleinen Venedig" und dort Lehde "
das Venedig des Spreewaldes" besucht haben. Aber so viel Venedig hielten wir für ungesund. Zumindest das Café "
Venedig" in Lübbenau besuchen können.
Diagnose: Immerhin ist die Potsdamer Kulturlandschaft unbestritten das
Märkische Arkadien!
Therapie: Vielleicht reist mal jemand ins lombardische Jüterbog.
Falsch abgeschrieben
Ich habe gerade in einer an Berliner Bahnhöfen ausliegenden Zeitung gelesen, dass Heinz Rühmann und Marlene Dietrich (für alle Spätgeborenen: zwei deutsche Schauspieler, der eine u.a. zu sehen in Durchhaltefilmen der Nazis, die andere zur gleichen Zeit in Unterhaltungsfilmen aus Hollywood) in "prunkvollen Villen" der Kolonie Neubabelsberg "residiert" hätten. Nun könnte ich nörgeln, dass die Bedeutung von "residieren" in Richtung "Hof halten" und "regieren" geht, aber man kann es auch etwas tiefer hängen und mit "Wohnsitz haben" übersetzen. Aber hatten Heinz Rühmann und Marlene Dietrich jemals ihren Wohnsitz in der Villenkolonie? Eben nicht! Sie haben dort bei Dreharbeiten in den nahen Studios ziemlich unspektakulär in einem Gästehaus, der "Villa Lilienthal", übernachtet.Darin haben viel später auch die großen Franzosen Gérard Philipe und Jean Gabin bei Dreharbeiten für eine Ko-Produktion DDR-Frankreich für kurze Zeit gewohnt.
Die Reduzierung der 100 Jahre Filmbetrieb in Babelsberg auf die beiden genannten Schauspieler ist eine Krankheit, die sich seit Anfang der 1990er Jahre durch die Potsdam-Reiseliteratur zieht. Damals hatte Volker Schlöndorff in Babelsberg das Sagen. Die Folge: Die Geschichte der Filmstadt wurde im Zuge der damaligen
political correctness auf wenige Protagonisten verengt. Das hat sich zum Glück inzwischen - auch dank des Filmmuseums Potsdam - gegeben.
Diagnose: Schade, dass eine so facettenreiche Geschichte immer wieder simpel zurechtgestutzt wird.
Therapie: Nicht einfach abschreiben, es kann auch mal falsch sein.
Gleich nach dem Urknall
Ach wie bin ich froh, dass ich für diese Sünde niemanden in Brandenburg an den Pranger stellen muss. Was sich die Kollegen von der Insel Rügen während der ITB 2015 da leisteten, war schon ein starkes Stück: Sie stellten einen Trabi vor den Süd-Eingang und schrieben in großen Lettern dazu, dass Rügen seit 25 Jahren ein Urlaubsland sei. Sind denn etwa die langen Trabi-Kolonnen vergessen, die, seit es Trabi gibt, über den Rügendamm auf die Insel rollten? Sind die Millionen DDR-Bürger vergessen, die notgedrungen Rügen gegen Mallorca tauschten? 25 Jahre Urlaubsland - die Tourismusvermarkter auf Rügen sind ja offenbar nur neidisch auf die Nachbarinsel Usedom, die sogar mit Kaiserbädern wirbt. Wenn die Zeit vor 1990 nicht existiert, dann gab es auch keinen Kaiser. Basta!
Aber bitte keine Häme auf die Vorpommern, wo vielleicht der Urknall ein paar Milliarden Jahre später als im Rest des Universums stattgefunden hat. Wer sich im Internet die Ortschronik mancher brandenburgischen Kommune ansieht, wird nicht seltenen ein Nichts zwischen 1945 und 1990 entdecken. Jener Zeitraum nämlich, in dem das Leben nicht stattfinden durfte. Das begann erst wieder, als die Familien
von Blaublut auf die angestammten Ländereien zurückkehren konnten und die Herrenhäuser nicht länger als Kindergarten missbraucht wurden.
Diagnose: Geschichtsvergessenheit nervt.
Therapie: Einfach mal daran denken, dass Geschichte immer und zu jeder Zeit stattfindet. Sie verschwindet nicht, wenn man sie wegdenkt.
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Die einzigartigste Baumblüte von Werder? |
Da geht noch was: voll, voller, am vollsten
Als ich von der wechselvollsten Geschichte eines Turms las, nahm ich mir vor, den
Superlativ aufs Korn zu nehmen. Gerade in werbenden Texten kommt man - so scheint es - selten
ohne ihn aus. Zu Glück liest man die Klassiker der Einzigste, einzigartigst oder gar einzigstartig inzwischen sehr selten. Also noch einmal zu wechselvollst. Gesteigert werden soll hier wohl der Wechsel,
der besonders häufig und heftig eintrat. Also eigentlich wechselstvoll? Aber wer
spricht denn so? Das "st" lassen wir daher besser generell beiseite.
Schließlich ist dreist auch nicht der Superlativ von drei. Auch wenn wir die eigene Bedeutung nicht hochgenug
überschätzen können, sollten wir auf bedeutungsvollst verzichten.
Und auch auf die Steigerung sorglos, sorgloser, am sorglosesten.
Es gibt übrigens noch
andere Formen, einen Superlativ zu bilden, die alle ohne "st"
auskommen. Wenn wir Super-Angebote haben mit Mega-Schnäppchen zum Beispiel. Auch Jahrhundert-Hochwasser enthält einen übertreibenden Superlativ.
Denn es ist ein Hochwasser, wie es ungefähr alle sieben Jahre vorkommt und Profi-Wetterfrösche meinen, künftig kommt es noch viel häufiger.. Übertreibungen helfen uns also in keinster Weise, die
Glaubwürdigkeit unserer Texte zu sichern.
Diagnose: Superlative
passen zur Marktschreierei, nicht aber zum ansprechenden Marketing. Siehe auch oben zur Steigerung von "einzigartig".
Therapie: Wer
das richtige Wort findet, braucht in den seltensten Fällen auch noch eine
Steigerung.
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Nicht gucken, sondern staunen |
Wie soll ich auf Spuren wandeln?
"Was
man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen".
Diese häufig zitierte Stelle aus Goethes "Faust" würde heute geschrieben
vielleicht am Schluss so lauten: … kann man getrost nach Hause
schleppen." Denn unsere Sprache wird immer schwerfälliger und
umständlicher. Aus "Wetter" wurde "Wettergeschehen", aus "es regnete"
wurde "es ging Regen nieder", aus "alles ist möglich" wurde "alles liegt
im Bereich der Möglichkeiten". Auch in touristischen Texten machen sich
Schwulst und Behäbigkeit breit. Besonders schlimm: Man
wandert nicht mehr auf den Spuren, sondern man
wandelt
auf ihnen. "Wandeln Sie auf den Spuren von Caspar David Friedrich," hab
ich gelesen. Wenn man bedenkt´, dass "wandeln" im Wortsinn ein
"zielloses Umhergehen" ist, wirkt diese Aufforderung ziemlich daneben.
In derartigen Texten wird nichts mehr einfach mal angesehen, es wird
"bestaunt". Ein Ort gefällt nicht mehr, er "besticht". Pech nur, dass
ich unbestechlich bin.
Und dann soll ich auch "flanieren", wo ich ansonsten nur unhergegangen wäre. Aber diese Aufforderung nehme ich gern an. Schließlich war in den 1920er Jahren der Flaneur jemand, ohne den das anspruchsvolle Feuillton nicht auskam. Walter Benjamin, Ludwig Sternaux, Georg Hermann, Franz Hessel - alles Flaneure, die es zu etwas gebracht haben. Sie gingen ohne Plan durch die Großstadtstraßen, beobachteten und schrieben auf.
Diagnose: Oft sind Schreiber am Werk, die vor der eigenen Wichtigkeit auf die Knie fallen.
Therapie: Daran denken, dass auch in touristischen Werbetexten nicht der Schreiber die Hauptfigur ist, sondern der Leser.
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Ein Ort zum Verweilen? |
Was ist die
Lieblingsbeschäftigung des Brandenburg-Besuchers? Er verweilt. Auf Parkbänken,
an Badestränden, an Bächen, in Gaststätten - es gibt keinen Ort, an den er
nicht zum Verweilen eingeladen wird.
Niemand weiß, was er dort tut, während er verweilt. Anders ist es beim
"Weilen". Wichtige, meist staatstragende Persönlichkeiten weilen
irgendwo. Und wir ahnen gleich, was sie dort Wichtiges tun: Sie führen wichtige
Gespräche, halten wichtige Reden, streichen wichtig über die Haare kleiner
Kinder und so weiter. Aber was tut man beim Verweilen? Vielleicht sogar
etwas Unwichtiges, gar Falsches, wie man bei der Vorsilbe "ver"glatt
vermeinen könnte - wie beim Versprechen, Vergessen, Vereiteln, Vermasseln?
Wer
kann uns bei des
Rätsels Lösung helfen? Goethe! Denn ihm verdanken wir die Aufforderung,
alle Nasen lang zu verweilen. "Faust", 1. Teil, Studierzimmer:
" Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so
schön!" Verweilen hier also als Sammelbegriff für "das Leben genießen".
Nur schade, dass dieser Satz, der in vielen Zitatensammlungen vorkommt, eine
glatte Fälschung ist. Denn was Faust zum Mephisto bei Goethe wirklich sagt,
lautet im Ganzen: " Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch!
Du bist so schön! Dann magst du mich in
Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn!" So also steht Verweilen für die negativste aller
Lebenshaltungen: für Müßiggang, Bequemlichkeit, Nichtstun, das Ende allen Strebens. Zur Gegenprobe: Das
Gegenteil von "verweilen" ist aufbrechen, verreisen, losziehen,
wandern, umherziehen, fortgehen. Das also, was Touristen eigentlich tun.
Diagnose: Vom alten Goethe lernen wir: Wer verweilt, den mag
der Teufel holen.
Therapie: In Zitatensammlungen nicht alles glauben.
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Wie kann man das nicht lieben? |
Brandenburg - was ist das eigentlich?
"Brandenburg"
- an was denken Leute in Tokyo, Buenos
Aires oder Kaptstadt, wenn dieser Begriff fällt? Mit großer
Wahrscheinlichkeit leuchten beim Klang
des Wortes die Augen auf. Denn man war ja dort, oder hat
es zumindest auf Bildern gesehen: das Brandenburger Tor. In Berlin.
Nein, das Land Brandenburg kennen sie nicht. Aber von Potsdam haben sie
schon gehört? Aber ja! Dass dort außer Sanssouci auch die
Landesregierung von Brandenburg zu finden ist - wer hätte das gedacht.
Dabei hat Brandenburg - reiseland-brandenburg sei
Dank - als Reiseziel einiges zu bieten. Hoffentlich verstehen unsere
internationalen Freunde so wenig Deutsch, dass ihnen Rainald Grebes
Brandenburg-Lied nichts anhaben kann: "Nimm Dir
Essen mit, wir fahrn nach Brandenburg…" Er meint es ja nicht so, er will
doch nur singen. Auch mit
"Wolferwartungsland", "Braunkohleland" und "Kasernenland" kann und darf
nicht unser liebes Brandenburg gemeint sein. Dann schon eher "märkische
Streusandbüchse". Denn diesem schon Jahrhunderte alten Begriff kann man
die vielen Parks und Gärten, die riesigen Wälder und selbst die
blühenden Heidelandschaften, die einst Manövergelände oder
Braunkohlentagebaue waren, gegenüberstellen."Märkische Heide, märkischer
Sand..." singen wir, wenn uns patriotisch zumute wird.
Allerdings
sollte man sich davor hüten zu glauben, dass der Begriff Brandenburg
bei potenziellen Touristen automatisch Emotionen auslöst wie es die
Wörter Tirol, Toscana oder gar Trinidad tun. Wenn es um
Brandenburg geht, kommt es darauf an, schnell konkret zu werden, den
Begriff mit Bildern und Geschichten zu untersetzen, die dem Auge und dem Ohr schmeicheln. Also ans
Werk! Und nicht vergessen: Brandenburg ist viel, viel mehr als die grün/blaue Ummantelung von Berlin.
Diagnose:Brandenburg ist ein eigen-, aber auch gutwilliger Patient.
Therapie: Schlag nach bei Fontane (siehe unter "jetzt wird es literarisch").
"Selbst Fürsten und Könige"- und ich?
Autoritätsbeweise
haben einen großen Vorteil: Man muss selbst nicht argumentieren, muss
keine Fakten zusammentragen, kann sich die Suche nach blumigen
Eigenschaftswörtern sparen. Schließlich waren Monarchen, Dichterfürsten
und andere Promis schon einmal dort, wo nun auch der geneigte Leser der
Werbebotschaft hingelockt werden soll. Gerade in Brandenburg sind wir um
solche Autoritäten nicht verlegen. 500 Jahre Hohenzollern-Herrschaft in
der Mark Brandenburg haben jede Menge gekrönte Häupter in die Gegend
gebracht. Und keiner hat für die Dachmarke "Mark Brandenburg" samt der
Marken "Grafschaft Ruppin, Oderland, Havelland und Spreeland" so viel
geleistet wie Theodor Fontane. Ein größerer Zitaten-Schatz ist kaum
denkbar.
Diese Autoritätsbeweise haben nur einen
kleinen Haken. Kaum jemand weiß etwas über jene, die da aus der
Geschichte hervorgezerrt werden. Sagt es wirklich etwas aus, wenn man
erfährt, dass "selbst Fürsten und
Könige" aus dieser oder jener Quelle getrunken haben? Die das taten,
waren eigentlich bedauernswerte Geschöpfe, denn sie litten an der
Erbkrankheit der Hohenzollern, der Gicht. An jeden Strohhalm haben sie
sich geklammert auf der Suche nach Linderung. Ein Beweis für die
Qualität heutiger Wellness-Programme? Oder Fontane. Wer hat schon seine
"Wanderungen durch die Mark Brandenburg" gelesen? Empfehlen kann man sie
über weite Strecken eigentlich nicht. Die langen Beschreibungen der
Familiengeschichten des preußischen Landadels, von Schlachten aus lange
vergangener Zeit - wer findet das
erbaulich? Aber es gibt darin auch Naturbeschreibungen, die große
Literatur sind. Wir können viel lernen beim alten Fontane. Aber als
Wunderheiler taugt er nicht.
Diagnose: Zu viel Autoritätsgläubigkeit kann nicht gesund sein.
Therapie: Vielleicht ist es besser, die Autorität in uns selbst zu suchen.
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Wie tief darf man sich fallen lassen? |
Lasse ich mich...?
Ach ja, das Leben kann so schön sein: lassen Sie sich verzaubern, lassen Sie sich verwöhnen, lassen Sie sich hinreißen, lassen Sie sich begeistern, lassen Sie sich gehen. Lassen Sie sich einlullen. Grammatikalisch sind das Passivkonstruktionen. Im wahren Leben soll mit derartigen Aufforderungen auch Passivität hergestellt werden. Wer will an den schönsten Tagen des Jahres
nicht alles fallen lassen. Nach einem Jahr der dauernden Anspannung
endlich sich fallen lassen.
Oder sind uns nicht aktive Touristen viel lieber? Jene, die viel unternehmen, die erlebnishungrig sind und nach neuen Eindrücken dürsten? Eben jene, die ihren freien Willen nicht an der Garderobe abgeben. Außerdem hat dieses "lassen sie sich" einen schlechten Beigeschmack. Es klingt unangenehm nach "lassen sie sich das Geld aus der Tasche ziehen."
Diagnose: Sich fallen zu lassen, kann schön sein, aber nicht, fallen gelassen zu werden.
Therapie: Immer daran denken: Touristen sind denkende, selbstbestimmte, gern frei handelnde Menschen.
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Unzählig viele Cafés? |
Wer mag schon bis 3 zählen?
Wollte schon jemand Sie mit dem Wort "unzählig" zu beeindrucken? Unzählige Seen soll es in Brandenburg geben. Sind das nun mehr oder weniger als die berühmten 1000 Seen in Finnland? Und was sollen Sie mit unzählig vielen Seen anfangen? Drei würden es doch auch schon tun - für ein erfrischendes Bad an einem schönen Sommertag, wenn das Wasser klar ist und der Himmel blau! Unzählige Wanderwege, unzählige Möglichkeiten der Erholung, unzählige Reiterhöfe…. und so weiter.
Für was steht "unzählig" eigentlich? Für "unzählbar", weil viel zu viele - wie die Sterne am Himmel und der Sand am Strand. Oder für so viele, dass sich das Zählen nicht lohnt - wie die Bäume im Wald und die Wörter beim Kaffeeklatsch. Bis dahin ist noch alles okay. Aber was soll die Nachricht, rund um das Nauener Tor in Potsdam gebe es "unzählige Cafés und Restaurants"? Das hab ich wirklich gelesen. Entweder ist da jemand zu faul zum Zählen oder hat das Zählen niemals gelernt. "Unzählig" führt ins Vage, Unverbindliche, Diffuse, Schemenhafte, letztlich auch Fragliche. Werbung aber geht anders. Oder haben Sie schon mal gehört: "Unser Auto besteht aus unzählig vielen Teilen, damit Sie unzählig viele Kilometer pannenfrei fahren können." Aber in der Tourismuswerbung ist alles möglich, auch unzählig viel Stuss.
Diagnose: Hier will jemand eine Qualität durch eine Quantität ausdrücken und schleicht sich um Zahlen herum.
Therapie: Immer wieder üben, bis 3 zu zählen.
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Nicht nur Kultur, sondern auch Natur? |
Nicht nur - und dennoch...?
Neulich las ich im Fahrplan einer tüchtigen Reederei: "Unsere Schiffe starten vom Hafen xyz jedoch nicht nur zu Rund- und Kaffeefahrten nach zyx, sondern auch zu Schleusenfahrten, Tagesfahrten sowie Erlebnisfahrten mit Tanz und guter Laune." Ich kann nur hoffen, dass alle gutmeinenden potenziellen Fahrgäste den Satz bis zu Ende gelesen haben. Denn nur so konnten sie dem Missverständnis entrinnen, dass die Schiffe nicht fahren. Manche Texter - gerade im Tourismus-Marketing - lieben die Pirouette "nicht nur": "nicht nur Wälder, sondern auch Seen", "nicht nur Natur, sondern auch Kultur" usw. Soll das Werbung sein? Kein Bäcker käme auf die Idee, vor seinem Laden zu plakatieren: "Nicht nur Schrippen, sondern auch Brot". Er hätte viel zu viel Angst, die Passanten könnten beim flüchtigen Blick auf sein Schild zu der Meinung kommen, die Schrippen wären ausverkauft. Man stelle sich vor, anstatt "nicht nur Wälder, sondern auch Seen" könnte man lesen: "und mitten in den Wäldern Seen, die zum Baden einladen".
Die Unsitte mit "nicht nur…, sondern auch" wird vollends zur Unmöglichkeit, wenn daraus noch ein gewaltiger Satzrahmen gebastelt wird. Etwa so: "Wir bieten nicht nur Kahnpartien, die sich seit Jahren einer wachsenden Beliebtheit erfreuen und daher häufig ausverkauft sind, weshalb eine rechtzeitige Voranmeldung empfohlen wird, sondern auch geführte Radwanderungen." Das muss man schon dreimal lesen, um zu begreifen, warum die Nicht-Kahnpartien häufig ausverkauft sind. Gibt es einen Grund, die Leser derart zu quälen?
Diagnose: Schnörkel, auch in der Sprache, bewegen sich nach vorne, nach hinten, wieder nach vorne, wieder nach hinten. Wer's liest, ist selber schuld.
Therapie: Bedenken, dass Werbung etwas vermarkten will, nicht aber nicht etwas.
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Ist er/sie an allem schuld? |
Der Mensch und die Menschin. Muss Gendern sein?
Auch wenn es üblich geworden ist, dass viele
Autoren menschliche Wesen nach ihrem Geschlecht getrennt benennen (und sich dabei eine sexistische Denkweise nachsagen lassen),
bleibt das Brandenburg-Projekt dabei, dass man Menschen durchaus in
ihrer Gesamtheit benennen sollte.
Zumindest wenn im Kontext das Geschlecht keine
vordergründige Rolle spielt. Oder sollte man sagen: "der Streik der Lokfüherinnen und Lokfüherer" bzw. "der LokfüherInnen-Streik"? Heißt die Berufs-bezeichnung künftig gar "Lokomotivführende"? Aber es könnte durchaus heißen: "Unsere Lokführerinnen und Lokfüher sind sich ihrer Verantwortung für die Sicherheit der Fahrgäst sehr bewusst."
Man muss unseren Vorfahren, denen wir die
heutige Sprache verdanken, keine frauenfeindliche Boshaftigkeit
unterstellen, wenn sich dabei sehr häufig grammatikalisch männliche
Geschlechtsbezeichnungen ergeben. Oder sollte ein tieferer Sinn liegen in: die Sonne / der Mond; die Elbe / der Rhein; der Gast und ganz schlimm: das Mitglied. Und so stellt sich die Frage, warum
manche Politiker permanent von "Wählerinnen und Wählern" sprechen, wenn doch alle
Stimmen gleich sind? Oder doch nicht?
Diagnose: "Politische Korrektheit", die nervt.
Therapie: Mal nicht immer nur an den kleinen Unterschied denken.
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Ein Kasernenhof in Potsdam |
Kommen Sie endlich!!!??
"Kommen Sie zu uns! Sie werden sich hier wohlfühlen! Und bestimmt nicht wieder weg wollen!“ Zugegeben, das ist kein Originalzitat. Aber denkbar wäre sie doch, diese unbändige Liebe zu den Ausrufezeichen. Gerade in Texten, die für touristische Ziele werben sollen. Dort haben Ausrufezeichen jedenfalls zur Zeit Konjunktur. Erklären lässt sich das damit, dass hier jemand derart von den touristischen Qualitäten seines Ortes überzeugt ist, dass er/sie es laut in alle Welt hinausposaunen muss. So laut, dass es möglichst jeder hört. Als wolle er/sie das Herbeiströmen der Touristen auf dem Befehlswege ankurbeln.
Pech nur, dass aus einer Werbebroschüre keine Töne herauskommen. Da nützen noch so viele Ausrufezeichen nichts. Der Text wird durch diesen kleinen Strich mit dem Punkt darunter weder eingängiger noch glaubwürdiger. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass sich manche Leser, die eine natürliche Abneigung gegen Befehle haben, der weiteren Lektüre entziehen.
Diagnose: Wir haben es hier mit einem stark ausgeprägten Kasernenhof-Syndrom zu tun.
Therapie: Ein ganzes Schulheft mit Punkten vollschreiben. Mit großen und kleinen. Das übt.
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Schaun wir mal |
Wie nah ist hautnah?
Neulich sollte ich „hautnah die Natur erleben“. Man wollte mich mit einem Flyer zu einer Wanderung rund um einen brandenburgischen See überreden. Anfangs hatte ich mir bei dieser Formulierung nichts weiter gedacht. Man hat sie schließlich schon hundertmal gelesen. „Hautnah“ ist die Kurzform von „ganz dicht dabei“ und gegen „Natur“ ist auch nichts einzuwenden. Wo ist das Problem? Die Antwort: „hautnah“ und „Natur“ passen überhaupt nicht passen. „Hautnah“ verlangt nach etwas, dem ich sehr nahe kommen, das ich anfassen, berühren kann. Ist Natur so etwas? Eher selten, denn Natur ist ein abstrakter Begriff mit einer gewaltigen Bandbreite an Konkretem – die Wolken, die Meere, die Felder, die Berge, die Bäume, die Hechte, die Spatzen, die Ameisen, die Regenwürmer, alles das ist Natur. Wenig davon will oder kann ich ganz nahe an meine Haut lassen.
Bilder in Texten sind eine feine Sache. Sie können die Fantasie anregen, das Weiterdenken initiieren, und sie sorgen im Gehirn für eine längere Verweildauer des Gedankens. Bilder aber müssen stimmen, ihre Komponenten müssen zueinander passen. In unserem Fall ist nicht „hautnah“ das Problem, sondern die „Natur“. Ein Begriff von so hoher Abstraktheit macht jeden Versuch, ihn in einer Metapher zu verarbeiten, zum aussichtslosen Unterfangen.
Diagnose: Heiße Wortspiele können unter die Haut gehen und einen eiskalt erwischen.
Therapie: Sprachbildern ist besser einmal mehr zu misstrauen.
Hält doppelt besser?
Dieser Text ist ein Plädoyer für Wortwiederholungen und gegen die sinnlose Suche nach Synonymen. Was hat der Lehrer einst gesagt? Bei Wortwiederholungen im Aufsatz gibt es in Ausdruck eine 5 . Also schreiben wir nicht: "Unser Ausflug ins Brandenburgische brachte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang viele schöne Erlebnisse." Nein, zweimal Sonne in einem Satz, das geht gar nicht. Deshalb schreiben wir: "Unser Ausflug ins Brandenburgische brachte von Sonnenaufgang bis zum Untergang unseres leuchtenden Zentralgestirns viele schöne Erlebnisse." Gewonnen, Ausdruck: 1. Und gleich noch ein zweiter Versuch: "Der Reisekaiser fuhr in seinem Salonwagen von seinem Potsdamer Kaiserbahnhof mal zum Kaiserbahnhof nach Brühl, mal zum Kaiserbahnhof in die Schorfheide…." Nein, wir können es besser: "Der Reisekaiser fuhr in seinem Salonwagen von seinem Potsdamer Monarchen-Bahnhof, mal zum Gekrönten-Häupter-Haltepunkt nach Brühl oder zum Herrscher-Bahnstopp in die Schorfheide…" Der Satz ist doch gekonnt! Nur einmal Kaiser und nur einmal Bahnhof. Im Ausdruck also eine glatte 1.
Dabei können Wiederholungen helfen, den Kern einer Aussage zu betonen. Sie bekräftigen das Geschriebene, die können den Sätzen Kraft verleihen. Warum wohl fängt in der Bergpredigt jeder Satz mit "Selig sind…" an? Warum haben das Generationen von Deutschlehrern das durchgehen lassen? Und außerdem bewahren uns Wortwiederholungen vor manchmal blödsinnigen Synonymen, die die Verständlichkeit gen Null tendieren lassen. Zum Beispiel wenn aus der Bundeskanzlerin die "Uckermärkerin" wird oder aus einem Hotel ein "Beherbergungsunternehmen" oder aus Brandenburg die "Berlin-Region".
Diagnose: Es ist doch seltsam, was man so alles aus der Schulzeit vergisst. Aber das Wortwiederholungs-Verbot bleibt hängen. Keine Ahnung warum.
Therapie: Es lebe die sinnvolle Wortwiederholung!
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Alles nur Kulisse? |
Was verbirgt sich hinter der Kulisse?
Es war der 13. Juli 1957. Das Naturtheater in Steinbach-Langenbach im Thüringer Wald wurde mit Schillers " Räubern" feierlich eröffnet. 3000 Besucher waren gekommen. Darunter meine Eltern mit mir. Mitten in der Vorstellung ereilte es mich. Ich brauchte einen Baum. Davon gab es rund um das Naturtheater mehr als genug. Also suchte ich mir einen in der Nähe aus. Und da geschah es. 4. Akt, 5. Szene, neuer Spielort: In einem Gefängnisturm wird der gefangene Max Moor mit Nahrung versorgt. Da hebt sie an, die ohrenbetäubende Stimme des alten Moor - gleich neben meinem Baum am Waldrand… Seit dieser Zeit habe ich großen Respekt vor Kulissen. Man weiß nie, was sich nebenan verbirgt.
Derzeit ist die Kulisse zum Modewort in der Tourismuswerbung avanciert. Aktuelles Beispiel: "Wälder, Seen und Moore (!) bilden eine atemberaubende Kulisse für ihren Boots-, Radel- oder Wanderausflug." (das "ODER" in diesem Satz erinnert mich an den "Arzt oder Apotheker" und ich frage nur: na, wer denn nun?) Aber um den atemberaubenden Charakter dieser "Kulisse" kann es nicht so weit her sein, wenn noch Puste für ein Triathlon mit Boot, Rad und/oder Wanderstock bleibt. Aber wozu auch Puste, wenn Wälder, Seen und Moore (!) doch nur eine Kulisse bilden? Ein anderes Beispiel: "Die zwei charakteristischen Türme mit dem Säulengang am Ufer des Grienericksees, das ist die traumhafte Kulisse von Schloss Rheinsberg." Nun mal Butter bei die Fische. Eine Kulisse ist ein Hintergrundbild. VOR einer Kulisse kann ich eine ganze Menge anstellen, sehr wenig aber IN einer Kulisse. Dort kann ich mich nur unsichtbar machen. So wäre der Grienericksee samt dem Obelisk auf der anderen Uferseite die traumhafte Kulisse für Schloss Rheinsberg. Nicht aber die Türme des Schlosses. Ein Ding im Vordergrund kann nicht seine eigene Kulisse sein. Rein physisch.
Diagnose: Schade um die schönen Landschaften, die für alles Unmögliche missbraucht werden.
Therapie: Vorsicht mit Worten, die wie hohe Kunst klingen, aber reiner Theaterdonner sind.
Wünsch mir was?
Gehören Sie auch zu den regelmäßigen „Tatort“-Zuschauern? Spannung am Sonntagabend erleben, Nervenkitzel, Andrena-linstöße. Aber wie ist das, wenn jemand „spannende Ferientage“ verspricht? Und wenn das auch noch jemand ist, der für die Organisation von angenehmen Urlaubsaufenthalten zuständig ist? Schwierig. Man kann nur hoffen, das Versprechen ist in einem sehr, sehr übertragenen Sinne gemeint ist. Bei einer Fahrt ins Blaue gehört ja ein gewisses Spannungsmoment ins Programm. Aber bei einer organisierten Reise wünscht man sich allerdings keine Überraschungen. Und positive Überraschungen? Die dürfte es eigentlich nicht geben, weil sie im Urlaub der Normalzustand sein sollten. Es sei denn, die Erwartungen waren so niedrig angesetzt, dass bereits ein nicht knarrendes Bett eine spannende Überraschung wäre.
Es gibt noch andere Wünsche, von denen man nicht weiß, wie sie gemeint sind: „erlebnisreiche Tage“, „eine fesselnde Kreuzfahrt“, „mitreißende Stunden am Strand“, „atemberaubende Ballon-fahrten“, „einen packenden Bummel über den Basar“. Und das alles, um bewegende Eindrücke mit nach Hause zu bringen. Nervenkitzel pur.
Diagnose: Der Grat zwischen Wunsch und Verwünschung kann sehr schmal sein.
Therapie: Malt den Teufel nicht an die Wand!
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Erwischt: ein Fischadler im Oderbruch | | | | |
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Wieviel Glück ist "etwas Glück"?
Ich muss nur während einer Quizsendung eine Telefonnummer wählen, die einfachste Frage der Welt richtig beantworten, und "mit etwas Glück" sitze ich demnächst auf einem Kreuzfahrt-schiff in der Karibik. Wir alle haben uns angewöhnt, diesem " Glück" zu misstrauen. Rund 100.000 Zuschauer werden ebenfalls anrufen und meine Gewinnchance gegen Null tendieren lassen. Wie gesagt, diese Art von Glück ist Werbe-sprech vom Schlimmsten, aber wir nehmen es noch nicht einmal übel, denn wir haben genügend Mechanismen entwickelt, derartige Floskeln schnell im Kopf zu entsorgen. Kürzlich durfte ich in einer Werbe-broschüre eines großen Verkehrsunternehmens lesen, dass ich "mit etwas Glück" in einem nordbrandenburgischen Naturpark Fischotter, Biber, Seeadler und Schwarzstörche beobachten kann. Also Leute, fahrt los!
Ist das mit der Tierbeobachtung etwa ähnlich ernst gemeint wie das Glück beim Telefonquiz? Von den extrem seltenen Schwarzstörchen gibt es in Brandenburg 0,2 Revierpaare pro 100 km². Im Gegensatz zu ihren weißen Verwandten brüten die Schwarzstörche versteckt in Baumkronen dichter Wälder. Und der Seeadler? Er war vor einigen Jahrzehnten in Europa fast ausgerottet. Langsam erholt sich der Bestand, bundesweit sind es ca. 500 Brutpaare. Aber nach wie vor ist die Störung der Brut durch den Menschen die größte Gefahr für ihn. Dem Biber zu begegnen, ist da schon eher möglich. Fast 3000 von ihnen soll es in Brandenburg geben. Um sie beim Hausbau zu erleben, sollte man allerdings aufs Wasser, um von dort dem Treiben am Ufer zuzuschauen. Rangers in den Naturparks kennen die Stellen. Fischotter in freier Wildbahn zu erleben, ist hingegen extrem selten. Selbst für versierte Tierfilmer sind Bilder von einem Fischotter wie ein Sechser im Lotto. Womit wir wieder beim Glück angekommen sind.
Diagnose. Hier werden gutgläubige Touristen in den Wald geschickt.
Therapie: Mit etwas Glück finden die Leser allein heraus und entsorgen derartige Tipps ganz schnell im Kopf.
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Zum Glück nur ein Anzeigefehler |
Leider Gottes?
Wer viel reist (nicht nur in Brandenburg), bekommt häufig das Wort "leider" zu hören. Allermeistens kommt es aus Bahnhofs-Lautsprechern. "Wegen Beseitigung eines Blindgängers hält dieser Zug leider nicht in Potsdam." Was will uns der Laut-Sprecher mit dem Wörtchen "leider" sagen? Dass er es eigentlich ganz anders gewollt hat, aber nichts gegen die Zug-Umleitung machen kann? Dass der Krieg, der vor 70 Jahren zu Ende ging, "leider" nun einmal stattgefunden hat? Dass die Bombe damals im April 1945 "leider" nicht - wie sie sollte - explodiert ist und dabei Menschen in den Tod gerissen hat? Und dass wir jetzt "leider" immer noch mit diesem Schlamassel leben müssen? Es muss ja nicht gleich eine Bombe sein. "Wegen Bauarbeiten an der Straße ….. ist leider eine Umleitung erforderlich?" Warum will mir da unbedingt jemand seinen Gemütszustand aufdrängen? Etwa: "Ich leide ja mit dir!" Dabei sind Bauarbeiten das Normalste auf der Welt und dass sich Umleitungen ergeben, auch. Man verschone mich also mit "leider". Ändern kann es eh nichts.
Warum lieben die Deutschen das Wörtchen "leider" so sehr? Weil sie so gern öffentlich leiden? Weil sie dem ansonsten häufigen Kasernenhofton so gern etwas entgegensetzen wollen? Die Antwort ist ganz einfach: Weil "leider" so leicht über die Zunge geben. Wie sehr müssen sich da andere Völker anstrengen: "unfortunately" die Engländer/Amerikaner, "malheureusement" die Franzosen, "lamentablemente" die Spanier, "soschaleniju" die Russen… Leider gehört "leider" zu den leichteren Wörtern in der deutschen Sprache.
Diagnose: Leider verirren sich Gefühlsausbrüche in die Sprache, wenn sie gerade nicht gebraucht werden.
Therapie: Leider Gottes ist kein Gegenmittel in Sicht.
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Wieviel Fußballfelder sind das? |
Ist ein Katzensprung weiter als ein Steinwurf?
Der Park Sanssouci ist etwas so groß wie 290 Fußballfelder. Zum Glück konnte ich einen derartigen Vergleich noch nicht lesen. Aber wie gesagt - zum Glück, denn möglich wäre es wohl. Der Vergleich mit den Fußballfeldern ist derzeit so beliebt, als sei das Fußballfeld das Maß aller Dinge. Richtig doof ist er ja auch nicht, dieser Vergleich, denn wer kann sich schon die Fläche eines Hektar vorstellen? Vielleicht ein Mähdrescherfahrer, aber dann hört es schon auf. Und wer kann sich ein Fußballfeld vorstellen? Ein Fußballfeld darf maximal in der Länge 120 Meter und in der Breite 90 Meter messen. Das sind 10.800 Quadratmeter. Also etwas mehr als ein Hektar. Nur ist damit nicht alles geklärt, denn ein Fußballfeld darf lauf DFB im Minimum 90 Meter lang und 45 Meter breit sein. Das wäre dann ein halber Hektar - oder 580 Fußballfelder für Park Sanssouci. Denkbar sind auch jede Menge Zwischengrößen. Was jetzt? Wir nehmen einfach an, gemeint ist das große Feld. Das, auf dem die Bundesliga unterwegs ist. Aber ganz schwierig wird es, wenn jemand in seinem Vergleich nicht "Fußballfeld" sagt, sondern "Fußballplatz". Dann versagt jede Rechenkunst.
Über die wahre Länge von Entfernungen wie "ein Katzensprung", "ein Steinwurf" ("die Schorfheide - einen Steinwurf von Berlin entfernt") oder "nur ein paar Schritte" unterhalten wir uns ein andermal. Und nicht alles, was "Lichtjahre entfernt" ist, bleibt für uns völlig unerreichbar. Zum Glück.
Diagnose: Entfernungsangaben können Glücksache sein.
Therapie: So genau wollen wir es ja oft gar nicht wissen.
Ich, du, er, sie es… Oder wer?
Wie soll man die potenziellen Gäste in einer Werbebroschüre anreden? Mit SIE ("Kommen Sie zu uns und Sie werden Ihre helle Freude haben.")? Da sieht man ihn doch gleich vor sich, den servilen Krawattenträger, der einem so lange freundlich gesinnt ist, wie die Unterschrift unter dem Vertrag noch nicht trocken ist. Außerdem ist die Grenze zwischen freundlicher Aufforderung und harschem Befehl fließend, wenn die dazugehörige Stimme fehlt. Und wie wäre es mit einem modernen DU? Bei Jugendherbergen und Surfschulen völlig okay. Ansonsten müssen wir Deutschen uns eingestehen, dass es uns nicht leicht fällt, den Skandinaviern zum gemeinschaftlichen DU zu folgen (zumal ja das SIE formal in den nordischen Sprachen - im Gegensatz zum Englischen - noch existiert).
Nun zwei andere Möglichkeiten: erstens, ICH erzähle von MIR. Daraus kann sich ein netter Plauderton ergeben. Da gibt sich entweder jemand als Insider zu erkennen und erzählt, was er so alles weiß. Oder ein anderer hat schon mal ausprobiert, das die Gäste so alles erwartet. Mit Geist und Witz werden die Leser ins Geschehen gezogen und können sich im guten Sinne treiben lassen. Bedauerlich nur, wenn dieses "ICH" keinen Namen und kein Gesicht erhält. Da bleibt immer etwas Misstrauen zurück. Die zweite Möglichkeit, das WIR. Hierbei bilden Gäste und Gastgeber eine große Gruppe und werden gemeinsam auf Reisen geschickt. Die einen nehmen die anderen quasi bei der Hand und begleiten sie erlebnisreich durch die Reiseregion. Damit es funktioniert, darf auch das Wörtchen SIE eine Rolle spielen. Auf diesem Wege sollte sich schnell gegenseitige Sympathie einstellen.
Diagnose: Solange der Gast das unbekannte Wesen ist, ist die richtige Anrede schwierig.
Therapie: Jede Anrede ist besser als gar keine.