Montag, 31. Oktober 2016

Service-Wüste Deutschland?

Schon seit der Reformation


Erasmus Rotterdam ist einer der ganz großen der europäischen Geistesgeschichte. Er lebte zwischen 1467 und 1536, war Theologe, Priester und Philologe, er verfasste eine größere Anzahl an Büchern. Dazu gehörten Satiren, in denen er auch der Kirche einen Spiegel vorhielt. Für seine scharfe Ironie wurde er ebenso verehrt wie beschimpft. Die folgende Schilderung eines Abends in einem deutschen Gasthaus stammt aus seinen "Gesprächen" und beruht sicher auf eigenen Erlebnissen, ist dennoch leicht satirisch aufgeladen.

aus: Von Gasthäusern. Bertulf und Wilhelm

Bei der Ankunft in einer Herberge grüßt niemand, damit es nicht scheine, als ob sie viel nach Gästen fragten; denn dies halten sie für schmutzig und niederträchtig und des deutschen Ernstes unwürdig. Nachdem du lange geschrieen hast, steckt endlich irgend einer den Kopf durch das kleine Fenster der geheizten Stube heraus, gleich einer aus ihrem Hause hervorschauenden Schildkröte. Diesen Heraus-schauenden muss man nun fragen, ob man hier einkehren könne; schlägt er es nicht ab, so ersiehst du daraus, dass du Platz haben kannst. Die Frage nach dem Stall wird mit einer Handbewegung beantwortet. Dort kannst Du dein Pferd nach deiner Weise behandeln, denn kein Diener legt eine Hand an. Ist es ein berühmteres Gasthaus, so zeigt dir ein Knecht den Stall und auch den Platz für das Pferd. Die besseren Plätze werden jedoch für spätere Ankömmlinge, vorwiegend für Adlige, aufbehalten. Wenn Du etwas tadelst oder irgendeine unziemliche Bemerkung machst, hörst gleich die Rede: "Ist es dir nicht recht, so suche dir ein anderes Gasthaus."

Ist das Pferd versorgt, so begibst du dich, wie du bist mit Stiefeln, Gepäck und Schmutz in die Stube. Die geheizte Stube ist allen Gästen gemeinsam. Dass man wie bei den Franzosen eigene Zimmer zum Umkleiden, Waschen, Wärmen und Ausruhen hat, kommt hier nicht vor, sondern in dieser Stube ziehst du die Stiefel aus, bequeme Schuhe an und kannst auch das Hemd wechseln. Die vom Regen durchnässten Kleider hängst du am Ofen auf und trocknest dich dort selbst. Auch Wasser zum Händewaschen ist bereit, aber es ist meist so unsauber, dass du dich nach einem anderen Wasser umsehen musst, um die eben vorgenommene Waschung abzuspülen.

Kommst du um vier Uhr nachmittags an, so wirst du nicht vor neun Uhr speisen, nicht selten erst um zehn Uhr. Denn es wird nicht eher aufgetragen, als wenn sie alle anwesend sind, damit auch allen dieselbe Bedienung zuteil werde. So kommen denn in dem selben geheizten Raum häufig 80 oder 90 Gäste zusammen: Fußreisende, Reiter, Kaufleute, Schiffer, Fuhrleute, Bauern, Knaben, Weiber, Gesunde und Kranke. Hier kämmt der eine sich das Haupthaar, dort wischt sich der andere den Schweiß ab, wieder ein anderer reinigt seine Schuhe oder Reitstiefel, jenem stößt der Knoblauch auf, kurz es ist ein Wirrwarr der Sprachen und Personen wie beim Turm zu Babel. Gewahren sie einen Fremden, der sich durch eine würdige Haltung auszeichnet, so sind aller Augen dergestalt auf ihn gerichtet, als sei es irgend eine Art neuen, aus Afrika hergebrachten Getiers .

Etwas inzischen zu begehren, geht nicht an. Wenn es schon spät am Abend ist und keine Ankömm-linge mehr zu hoffen sind, tritt ein alter Diener mit grauem Bart, geschorenem Haupthaare, grämlicher Miene und schmutzigem Gewande herein, lässt seinen Blick still zählend nach der Zahl der Anwesenden umhergehen und den Ofen dest stärker heizen, je mehr er gegenwärtig sieht, wenngleich die Sonne durch ihre Hitze lästig wird; denn es bildet bei den Deutschen einen vorzüglichen Punkt guter Bewirtung, wenn alle vom Schweiße triefen. Öffnet nur einer, solchen Qualms ungewohnt, nur eine Fensterritze, so schreit man sogleich: "Zugemacht!" Antwortest Du: "Ich kann es vor Hitze nicht aushalten!", so heißt es: "Suche dir ein anderes Gasthaus!"
Der bärtige Ganymed kommt wieder und legt auf so vielen Tischen, als er für die Zahl der Gäste hinreichend glaubt, die Tischtücher auf, grob wie Segeltuch; für jeden Tisch bestimmt und mindes-tens acht Gäste. Jene, die mit der Landesstitte bekannt sind, setzen sich, wo es ihnen beliebt, denn hier ist keine Unterschied zwischen arm und reich, zwischen Herren und Knechten. Sobald sich alle an den Tisch gesetzt, erscheint wieder der sauersehende Ganymed und zählt nochmals seine Gesellschaft ab und setzt dann vor jeden einzelnen einen hölzernen Teller, einen Holzlöffel und nachher ein Trinkglas. Wieder etwas später bringt er Brot, damit haben die Gäste einen Bissen für ihren bellenden Magen. So sitzt man nicht selten nahezu eine Stunde, ohne dass irgend einer nach Essen begeht.

Endlich wird der Wein von bedeutender Säure aufgesetzt. Fällt es nun einem Gast ein, für sein Geld um eine andere Weinsorte zu ersuchen, so tut man anfangs, als ob man es nicht hörte, aber mit einem Gesichte, als wolle man den ungebührlichen Begehrer umbringen. Wiederholt der Bittende sein Anliegen, so erhält er den Bescheid: "In diesem Gasthofe sind schon viele Grafen und Mark-grafen eingekehrt, und keiner hat sich noch über meinen Wein beschwert; steht er dir nicht an, so suche dir ein anderes Wirtshaus!" Denn nur die Adligen ihres Volkes halten sie für Menschen und zeigen auch häufig deren Wappen.

Bald kommen mit großem Gepränge die Schüsseln. Die erste bietet fast immer Brotstückchen mit Fleischbrühe oder, ist es ein Fast- oder Fischtag, mit Brühe von Gemüsen übergossen. Dann folgt eine andere Brühe, hierauf etwas von aufgewärmten Fleischarten oder Pökelfleisch oder eingesalzenem Fleisch. Dann eine Art Mus, hierauf festere Speise, bis dem wohlgezähmten Magen gebratenes Fleisch oder gesottene Fische von nicht zu verachtendem Geschmack vorgesetzt werden. Aber hier sind sie sparsam und tragen sie schnell wieder ab. Am Tische muss bis zur vorgeschriebenen Zeit sitzen bleiben, und dies glaube ich, wird nach der Wasseruhr bemessen.
 Endlich erscheint der bewusste Bärtige oder gar der Gastwirt selbst, der sich jedoch am wenigsten von seinen Dienern in der Kleidung unterscheidet, und fragt, ob wir etwas wünschen. Dann wird auch etwas besserer Wein begebracht. Die mehr trinken zahlen um nichts mehr als jene, die sehr wenig trinken. Es ist zum Verwundern, welches Lärmen und Schreien sich erhebt, wenn die Köpfe vom Trinken warm werden. Keiner versteht den anderen. Häufig mischen sich Possenreißer oder Schalks-narren in diesen Tumult, und es ist kaum glaublich, welche Freude die Deutschen an solchen Leuten finden, die durch ihren Gesang, ihr Geschwätz und Geschrei, ihre Sprünge und Prügeleien solch ein Getöse machen, dass die Stube dem Einsturze droht und keiner den anderen hört.

Und doch glauben sie, so recht angenehm zu leben, und man ist gezwungen, bis tief in die Nacht sitzen zu bleiben. Ist endlich der Käse abgetragen, der ihnen nur schmackhaft erscheint, wenn er stinkt und von Würmern wimmelt, so tritt wieder jener Bärtig auf mit der Speisetafel in der Hand, auf die er einige Kreise und Halbkreise gezeichnet hat. Diese legt er auf den Tisch hin, still und trüben Gesichts wie Charon.  Die das Geschreibe kennen, legen einer nach dem anderen ihr Geld darauf, bis die Tafel voll ist. Dann merkt er jene, die gezahlt haben, und rechnet im Stillen nach. Fehlt nichts an der Summe, so nickt er mit dem Kopfe. Niemand beschwert sich über die ungerechte Zeche; wer es täte, der würde alsbald hören müssen: "Was bist du für ein Bursche? Du zahlst um nichts mehr als die anderen!"

Wünscht ein von der Reise Ermüdeter gleich nach dem Essen zu Bette zu gehen, so heißt es, er solle warten, bis die übrigen sich niederlegen. Dann wird jedem sein Nest gezeigt und das ist weiter nichts als ein Bett, denn es ist außer den Betten nichts Brauchbares vorhanden. Die Leintücher sind vielleicht vor sechs Monaten zuletzt gewaschen worden.

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