Dienstag, 7. April 2015

Brandenburg-Splitter

Wie Brandenburg zur Premium-Destination wurde

Ein kleiner Geburtsfehler

Als die Askanier (und nicht die Hohenzollern!) am 11. Juni 1157 Brandenburg erschufen, hatten sie keine touristische Destination im Sinn. Es galt damals nur das Prinzip: meine, meine und nicht deine.  Und es galt, dem Heiligen Römischen Reich zu neuer Größe zu verhelfen. Ein Fürst namens Albrecht mit dem eindrucksvollen Beinamen "der Bär" tat was er konnte, und die slawischen Stämme zwischen Elbe und Oder hatten das Nachsehen.  Also touristisch war da nicht viel los. Ein Geburtsfehler, der bis heute nicht ganz ausgemerzt ist.

Da waren die Zisterzienser-Mönche schon besser drauf. Sie gründeten im gleichen Jahr in der Nähe von Tripolis, heute Libanon, die erste Abtei außerhalb Europas. Ein Kloster darf man ja wohl getrost als ein Vorfahre des Hotels ansehen, sofern wir nicht gleich über 5 Sterne reden. Ihnen voraus marschierten die Kreuzfahrer aus allen Teilen Europas, um quasi als robuste Unternehmensberater Jerusalem und die gesamte Küste des östlichen Mittelmeers in ein bevorzugtes Touristenziel aller guten Christen zu verwandeln. Doch die Unternehmensberatung hatte ein paar falsche Ansätze und so kamen anstelle von Touristen weitere Kreuzritter, Glücksritter und Schacherer aller Art. Bald hatten sich die Eindringlinge hoffnungslos zerstritten und die Einheimische vereint. Und so kam, was kommen musste: Jerusalem war für lange Zeit als touristische Destination ausgefallen.

Doch zurück nach Brandenburg. Was im Nahen Osten im großen geschah, passierte hier um 1350 im kleinen: Die politische Macht zerfiel, es begann eine Zeit des Chaos. Die einzige Lichtgestalt in dieser trostlosen Zeit war ein Hochstapler, der "falsche Woldemar".  Der konnte zwar das Volk um sich sammeln, aber er besaß nicht das blaue Blut, das nun einmal für einen Herrscher notwendig ist. Wer heute durch Brandenburg reist, wird das an vielen Orten wieder bestätigt finden.  Und wer es es dann immer noch nicht glaubt, sehe sich im RBB die Sendreihe "Preußisch Blau" an. Dort werden Blaublüter genötigt, auf die Frage zu antworten, ob sie ganz normale Menschen seien oder nicht. Wer in eine brandenburgische Stadt mit einem "Woldemar-Tor" in der Stadtmauer kommt, kann sicher sein, dass hier der Hochstapler willkommen war.

Wir waren aber noch beim Chaos in Brandenburg. Als die Hohenzollern aus Franken kamen, um Brandenburg wieder aufzupeppen, taten sie zweifellos ihr bestes, um auch den Tourismus anzukurbeln. Sie taten das so erfolgreich, dass viele der Besucher nicht mehr nach Hause wollten. Gerade die gebirgigen Gegenden erfreuten sich hoher Beliebtheit. So besiedelten die Flamen den Fläming, die Schweizer die Märkische Schweiz und die Rheinländer die Gegend rechts und links des Rhin. Es kamen närrische Zeiten.

Und in der nächsten Abteilung lesen wir, was Touristen anrichten, die in Kriegszeiten ins Land kommen, was die Franzosen so alles mitbrachten und warum die Brandenburger immer noch kein richtiges Tourismus-Marketing hatten.

Wenn Fremde ungebeten kommen

Es sieht in der Rückschau sehr danach aus, als wäre das berühmte Edikt von Potsdam aus dem Jahr 1685 die erste wirksame Marketing-Aktion, um Gäste in die Mark Brandenburg zu ziehen. Darüber vergisst man gern, dass das 17. Jahrhundert mit einer Maßnahme begann, der eine große Wirkung vorausgesagt wurde: der Bau des Finow-Kanals. Damit wurden die Stromgebiet der Oder und der Warthe (mit Städten wie Stettin und Posen) mit der Havel, der Spree und der Elbe  (mit Städten wie Berlin und Hamburg) verbunden. Wasserwege waren damals das, was heute Schienen und Autobahnen sind. Nicht nur, dass die Kähne viel mehr transportieren konnten als ein Pferdefuhrwerk, sie waren auch sicherer und bequemer. Der Finow-Kanal war die erste künstliche Wasserstraße in Deutschland. Initiiert wurde der Bau von Kurfürst Joachim Friedrich. Kaum einer kennt diesen Vorfahren Friedrichs des Großen. Dabei ist er keineswegs unvergessen. 

Sein Name steckt im Ortsnamen Joachimsthal. In der Burg Grimnitz gründete er 1601 eine Glashütte, die Schmuckglas für den Berliner Hof herstellte. Und wer hat's gemacht? Böhmische Glasbläser. Kurz danach gründete er gleich nebenan ein Fürstenschule. Tief in den Wäldern sollte der Nachwuchs aus hohem Hause frei von Ablenkungen eine ordentliche Ausbildung erhalten. Der Kurfürst wollte es nicht mehr den Elternhäusern überlassen - und war deren Blut noch so blau -, die künftige Elite heranzuziehen. Aus der Joachimsthaler Fürstenschul, die bereits 1636 ihren Sitz nach Berlin verlegte,  ging später das Joachimsthaler Gymnasium hervor. Es blieb bis ins 20. Jahrhundert eine Bildungsanstalt für die besseren Kreise.

Dann kam der Dreißigjährige Krieg, von dem am Anfang niemand glaubte, dass er fast ein Menschenalter (nach damaliger Lebenserwartung) dauern würde. In Brandenburg glaubte man, sich  heraushalten zu können. So wurde es Durchzugsgebiet für die Katholischen aus dem Süden und die Protestantischen aus dem Norden. Was es heißt, wenn ungebetene Fremde durch das Land ziehen, die sich nicht zu benehmen wissen, die plündern, brandschatzen und vergewaltigen, mussten die einfachen Brandenburger schmerzlich erleben. Nur eine größere Schlacht hat es in Brandenburg gegeben: die bei Wittstock im Jahr 1636. Aber das Land litt während des gesamten Krieges grausam. Später hat man festgestellt, dass damals mehr Menschen durch Hunger, Krankheit und Seuchen ums Leben kam, als durch direkte Kampfhandlungen. Ergo: Nicht kämpfen ist auch nicht immer die Lösung. Am Ende des Krieges war das Land so gut wie entvölkert. Ein riesiger Flüchtlingsstrom aus Frankreich rettete Brandenburg in der Not.

Lesen Sie in der nächsten Abteilung was geschieht, wenn Gäste ihre eigene Kultur mitbringen.

 

 

Fontanes "Herr von Ribbeck…" - ein Plagiat?

Vor 125 Jahren wurde Fontanes Gedicht erstmals veröffentlicht


Es ist Birnenzeit. Und hier im Brandenburgischen, wo allenthalben Theodor Fontane herumgeistert, mag manchem die Zeile durch den Kopf gehen, die vom Herrn Ribbeck in Ribbeck im Havelland handelt und in dessen Garten ein Birnbaum stand. Vor genau 125 Jahren wurde es erstmals veröffentlicht. Das war im Jahr 1889. In jenem Jahr wurde der Eiffelturm fertiggestellt, der Kilimandscharo zum ersten Mal bestiegen und der US-Staat New York beschließt die Einführung des Elektrischen Stuhls. Da hört sich doch die lyrische Nachricht aus dem Havelland geradezu idyllisch an. Als eine solche Idylle haben es wohl Generationen von Lehrern empfunden, die ihren Schülern auftrugen, das Fontane-Gedicht auswendig zu lernen. Ältere Semester können es heute noch von der ersten bis zur letzten Zeile aufsagen.

Was steckt aber hinder Gedicht? Ist es wirklich ein Ausflug in die heile Welt des Havellandes, das damals längt noch nicht so melioriert war wie heute und wo es nur wenige Wege durch das weithin sumpfige Gelände gab? Beginnen wir mit den Ribbecks. Sie sind eine uralte märkische Adelsfamilie, die mit den Askaniern ins Land kamen, als diese die heutige Mark Brandenburg den slawischen Siedlern entrissen. Der von Theodor Fontane beschriebene gutherzige „Herr von Ribbeck“ hieß mit Vornamen Hans-Georg und lebte von 1689 bis 1759. Er war als großzügiger und kinderfreundlicher Mensch bekannt – unter damaligen Gutsherren sicher seltene Eigenschaften.

Daher ging die Geschichte in die Sagenwelt des Havellandes ein und wurde bereits vor Theodor Fontane beschrieben – auch in Gedichtform. Warum aber ausgerechnet die Birne, um die Großherzigkeit des Adligen zu würdigen? In der Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte in Mitteleuropa eine „kleine Eiszeit“. Zum Beispiel war der Winter von 1739 auf 1740 – dem Jahr des Regierungsantritts von Friedrich II. - extrem streng. Er errichte Temperaturen von bis zu –39 Grad und dauerte bis in den Mai hinein. Damals gingen zahlreiche Obstsorten zugrunde, der Weinanbau in Brandenburg brach ein, auch viele Birnensorten überlebten die Kälte nicht. Es war schon etwas Besonderes, wenn die Ribbecker Kinder ein Birne mit nach Hause bringen konnten, zumal Birnen nicht nur als wertvolles Obst gegessen wurden, sondern in der traditionellen Küche eine beliebte Beilage waren.

Historisch belegt ist, dass Hans-Georg von Ribbeck einen knausrigen Sohn hatte und deshalb darum bat, ihn dereinst mit einer Birne zu bestatten. Da die von Ribbecks damals ihre Familiengruft in der Dorfkirche hatten, bleibt fraglich, wie der besagte Birnbaum auf dem Kirchhof wachsen konnte. Für Fontane bot die Legende Anlass, an die alten preußischen Tugenden zu erinnern, als sich die Gutsherren noch väterlich für ihre Untergebenen sorgten zu erinnern. Sie wurden von nachfolgenden Generationen immer mehr dem Kommerz geopfert. In Ribbeck selbst stehen dafür noch heute symbolisch auf der einen Seite das Gutshaus ("Schloss" genannt) und auf der anderen, viel größer in seinen Ausmaßen, die Brennerei, in der tonnenweise Kartoffeln in Schnaps verwandelt wurden.
So enthält Fontanes Gedicht eine soziale Komponente, die in anderen Gedicht-Fassungen der Ribbeck-Legende nicht enthalten war. Dass Fontane nicht der erste war, der die Birnen-Geschichte in Versform brachte, hat gelegentlich dazu geführt, dass der große Dichte des Plagiats bezichtigt wurde. 

Tatsächlich veröffentlichte Hertha von Witzleben, eine Nachfahrin des historischen Herrn von Ribbeck, ein Gedicht, das mit der Zeile beginnt: "Zu Ribbeck an der Kirch ein alter Birnbaum steht…" Dieses Gedicht enthält aber weder den Vater-Sohn-Konflikt, noch die wörtlichen Ansprachen das alten Ribbeck, die Fontanes Gedicht so lebendig machen. Kein Zweifel: Auch wenn es bereits ein Birnbaum-Gedicht gab, hat Fontane dennoch ein eigenes Kunstwerk geschaffen.
Was sagte der alte von Ribbeck zu den Nachbarskindern, wenn er ihnen Birnen zusteckte? „Junge, wist‘ ne Beer?“ und „Lütt Dirn, kumm man röwer, ich hebb`ne Birn.“ Ja, das ist Plattdeutsch. Zur Zeit der Handlung von Fontanes Gedicht, vor rund 250 Jahren also, sprach man im nördlichen und mittleren Brandenburg einen niederdeutschen Dialekt. Verstärkt wurde das Norddeutsche noch durch die im 12 und 13.. Jahrhundert eingewanderten Siedler vom Niederrhein, die neben ihren Fertigkeiten in der Landwirtschaft auch Spracheigenheiten mitbrachten. Im offiziellen Sprachgebrauch, gerde in der "feinen Gesellschaft", ging es aber auch zu Zeiten des alten Ribbeck schon hochdeutsch zu. In Fontanes Gedicht hören wir ihn vor seinem Tode sagen: „Legt mir eine Birne mit in‘s Grab.“ Inzwischen haben auch die Havelländer – wie die meisten anderen Märker auch – den Berliner Slang angenommen. Die Ausstrahlungskraft der riesigen Metropole war allzu mächtig..

Im Deutschen Birnengarten
Was geschah mit dem Birnbaum aus Fontanes Gedicht. 13 Jahre nach dessen ersten Veröffentlichung entwurzelt ein Sturm den Baum. Der Stumpf ist heute noch in der Ribbecker Dorfkirche zu sehen. An seiner Stelle neben dem Kirchturm steht wiederum ein Birnbaum, der allerdings erst im Jahr 2000 angepflanzt wurde. Aber gleich daneben im Schlosspark stehen 16 weitere Birnbäume, vereint zum "Deutschen Birnengarten zu Ribbeck". Jedes Bundesland hat dafür einen Baum gestiftet, immer eine typische Sorte aus der Heimatregion.



 

Brauchen wir Reiseführer von hier?

Interview mit dem Medienwissenschaftler Dr. Claudius Klapper von der renommierten Medienuniversität St. Peter Ording über ausbleibende Reaktionen zu regionalen Reiseführern in regionalen Presseerzeugnissen

Herr Dr. Klapper, Sie und Ihre Studenten haben soeben eine Studie vorgelegt, die der Frage nachgeht, warum Zeitungen mit lokaler oder regionaler Verbreitung nicht über Neuerscheinungen von Reiseführern in der eigenen Umgebung schreiben. Wie kamen Sie überhaupt auf dieses Thema?

Bekommen Sie auch ungefragt diese Werbezeitungen in den Briefkasten, die zwischen Anzeigen für Autohäuser und Bestattungsinstitute  - da fällt mir ein, man sollte sich einmal mit den inneren Zusammenhängen zwischen diesen beiden Werbetreibenden befassen - also besser: die zwischen Anzeigen für Kosmetik- und Fitness-Studios und ein paar redaktionelle Beiträge aus dem direkten Lebensumfeld ihrer Leser einstreuen? Eines Tages fiel mir auf, dass im Reiseteil einer solchen Zeitung neu erschienene Reiseführer über Island und die Komoren vorgestellt wurden. Nicht aber ein Reiseführer aus dem eigenen Verbreitungsgebiet. Dem sind wir wissenschaftlich nachgegangen.

Aber ist das nicht logisch? Wenn Leute ans Verreisen denken, dann doch lieber an exotische Ziele, als an die Müllkippe vor der Haustür.

Sie denken ja schon wie die Redakteure solcher Zeitungen: Die eigene Umgebung ist niemals eine Reise wert. Aber falsch gedacht. Wir konnten nach Befragung unter  1485 Personen - damit kann unser Ergebnis als repräsentativ gelten - feststellen, dass auf das Jahr gerechnet mehr Ausflüge in die unmittelbare Umgebung unternommen werden, als Reisen in die Karibik. Oder nach Island. Wie Sie wollen.

Aber brauche ich einen Reiseführer für den Ausflug in die Umgebung?

Gegenfrage: Brauchen Sie einen Reisführer für Island oder Jamaica? Sie können auch einfach hinfahren und schauen, was es da so gibt.

Aber hier kenne ich mich aus, da muss ich mir kein Buch unter den Arm klemmen.

Zwei Dinge müssen hierzu angemerkt werden. Erstens sei die Frage gestattet, ob Sie sich wirklich auskennen in einem Bereich von sagen wir 50 Kilometern im Radius um ihren Wohnort. Ich behaupte, da ist noch viel Wissenswertes, das auch Ihnen neu ist. Zweitens - sehen Sie, das ist der Vorteil des regionalen Reiseführers - man muss ihn sich nicht unter den Arm klemmen. Man kann ihn sich zu Weihnachten kaufen oder schenken lassen, dann drei Monate darin lesen, ein paar Lesezeichen setzen und dann - Achtung! - ohne das Buch losfahren. Was Sie an Wissen für einen Ausflug brauchen, kann ihr Gehirn bequem speichern.

Muss man für diese Einsichten Steuergelder ausgeben und eine teure Meinungsumfrage starten?

Hier möchte ich daran erinnern, dass unsere Schule eine private Einrichtung sind, die Steuergelder nur von der Überweisung an das Finanzamt kennt. Aber wenn diese Einsicht so platt und unspektakulär ist, warum dann die Rezensionen über Reiseführer zu Island und die Komoren? Oder wie Sie wollen.

Haben Sie eine Erklärung?

Weil es immer nur einen Platzhirsch geben kann. Entweder die regionale Zeitung oder der regionale Reiseführer. Während Hirsche um ihr Revier mit Hilfe des Geweihs kämpfen, nutzt die Zeitung eine viel fürchterlichere Waffe.

Und die wäre?
Die Ignoranz.

Womit wir am Ende unseres Gesprächs wären. Wir bedanken uns bis zum nächsten Mal bei Dr. Cornelius Klapper von der Medienuniversität in St. Peter Ording. 


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